Geschichten in 140 Zeichen. Das ist noch weniger als eine SMS, um Informationen und Emotionen zu verpacken. Es reicht aber durchaus, um eine Geschichte zu erzählen.

Eine Geschichte, ein Tweet

Florian Meimberg, Creative Director und Regisseur, hat daraus eine Kunst entwickelt und das erste Twitteratur-Buch verfasst. Mit @tiny_tales twitterte er bis kurz nach der Erscheinung von „Auf die Länge kommt es an. Tiny Tales. Sehr kurze Geschichten“ mehr als 220 kürzeste Geschichten, wie z.B. die Geschichte vom Autor, der seine Hauptfigur umbringt. Meist etabliert er dabei mit dem ersten Satz eine Figur und Szene, mit der wir ganz bestimmte Erwartungen verknüpfen. Mit dem folgenden Satz bricht er mit unseren Erwartungen oder stellt sie gleich komplett auf den Kopf: die Hauptfigur war ein realer Mensch, der Autor hat jemanden umgebracht. Dieser überraschende Twist ist sehr unterhaltsam und macht aus einer Zustandsbeschreibung oder auch alltäglichen Handlung eine kleine Geschichte – unser Kopf macht dann den Rest.

Eine Persönlichkeit, viele Tweets

Auch Jan-Uwe Fitz, als Texter ebenfalls in der Werbebranche beheimatet, ist als @vergraemer eine Twitterberühmtheit; er hat bereits etliche Bücher veröffentlicht. Aktuell tourt er mit „Wenn ich was kann, dann aber bitte nichts dafür: Aus dem Leben eines Vergrämers“ durch Deutschland, wobei der Buchtitel Programm für seine Tweets ist: eine sehr lustige Mischung aus schlechter Laune, Fettnäpfchentreffen und „WTF?!“-Fragen und Antworten sowie Konversationen mit anderen Twitterern, die jede Timeline zum Lachen bringen. Im Unterschied zu @tiny_tales hat Jan-Uwe Fitz eine Kunstperson entworfen, den Taubenvergrämer, einen Berliner Nörgler, der sich ohne Probleme auch in längeren Formaten zuhause fühlt. Man kann ihn sich auch gut in anderen Medien vorstellen – gerade wenn man schon mal auf einer Lesung von Jan-Uwe war. Also wer weiß, vielleicht gibt es ja irgendwann auch mal eine Vergrämer Late Night?

Eine Geschichte, viele Tweets

Einen anderen Ansatz verfolgte Jennifer Egan, die für den New Yorker die Geschichte Black Box schrieb. Nach einem Jahr war ihr Notizbuch voll und sie hatte ihre Story in insgesamt 600 Tweets unterteilt, die vom Account des New Yorkers @NYerFiction über zehn Tage jeweils Nachts für eine Stunde, also zu einer festgelegten „Sendezeit“ getwittert wurden.

“This is not a new idea, of course,” Egan wrote about her desire to compose for Twitter, “but it’s a rich one–because of the intimacy of reaching people through their phones, and because of the odd poetry that can happen in a hundred and forty characters.” (Fastcompany)

Vielleicht ließ sich (Ex-) Regisseur Steven Soderbergh ja von dieser Erzählung inspirieren, als er nach seinem Rücktritt vom Filmemachen begann, die Kriminalgeschichte „Glue“ via Twitter zu erzählen. Unter @bitchuation begann er am 28. April 2013 mit der Einleitung „I will now attempt to tweet a novella called GLUE.“ Es folgten insgesamt elf unterschiedlich lange Kapitel, die er an vier aufeinanderfolgenden Tage twitterte und dabei innerhalb kürzester Zeit über 10.000 Follower ansammelte. Das besondere an dieser in der zweiten Person erzählten Geschichte: hier schrieb ganz klar ein Filmemacher, der Regieanweisungen mit einstreute und immer wieder Bilder tweetete:

““Then complete silence. Then darkness. A beat. D appeared at the door.“” […] “Glue” is assuredly not, or at least not yet, a movie. But by its author’s own definition you could certainly call it cinema.“ (NYTimes)

Problematisch an zusammenhängenden, abgeschlossenen Geschichten, die über Twitter erzählt werden: einzelne Bestandteile gehen zwangsläufig für viele Leser verloren. Bei „Glue“ fanden sich daher auch rasch zwei Fans, die eine Brücke zu einem Blog schlugen, auf dem auch heute noch alle Kapitel nachzulesen sind. Egans Geschichte erschien nach dem Twitterexperiment regulär in der Printausgabe des „New Yorker“ – eine geschickte Marketingaktion? Wenn man Egan in Interviews hört, war es mehr als das, sie schrieb bereits mit Twitter im Hinterkopf. Doch natürlich ist dieses Vorabveröffentlichen einer Erzählung über Twitter eine Marketingmöglichkeit für Autoren – wenn sie denn bereits über eine ausreichend große Followerschaft verfügen. Hierzulande probierte das bereits Benjamin Maack für seinen Erzählband Monster, der 2012 beim mairisch Verlag erschien.

Vorschau: weitere Blogposts

Weitere Möglichkeiten, eine Geschichte auf Twitter zu erzählen und sie auch im Autorenmarketing bzw. in transmedialen Storywelten zu nutzen in den folgenden Blogposts. Der zweite Teil von „Twitter und Storytelling“ geht am Mittwoch, den 24.7. online.