Marisha Pessl, als literarisches Wunderkind für ihren Debütroman „Special Topics in Calamity Physics“ gepriesen, geht mit ihrem zweiten Buch Night Film neue Wege. Thriller/Mystery, eine männliche Hauptfigur und ein Konzept, das Buchgrenzen sprengt. So kam es wohl zur App zum Buch, das sich um sehr viel Mysterium und Grauen dreht:

Night Film – die Story

In „Night Film“ (2013, Random House New York) untersucht der investigative Journalist Scott McGrath den verdächtig erscheinenden Tod von Ashley Cordova. Die 24jährige war die Tochter eines berühmten Regisseurs namens Stanislas Cordova, von dem der Journalist seit einigen Jahren besessen ist. Wegen einer unvorsichtigen (um nicht zu sagen: ziemlich blöden) Behauptung über den Mann in einer Fernsehshow verlor McGrath guten Ruf, Job und auch seine Ehe ging in die Brüche. Dabei ist Cordova, eine Indie-Kultfigur tatsächlich sehr umstritten; seine 15 Filme sollen so grausam und gleichzeitig bewusstseinserweiternd sein, dass für ein Seminar über ihn eine schriftliche Einverständniserklärung eingefordert wird, dass über die Risiken der Filmbetrachtung aufgeklärt wurde. Eine mysteriöse Backstory, die dazu einlädt, das Grauen zu entdecken. In der Geschichte selbst gelingt das leider mehr schlecht als recht, zu viel Horror wird behauptet ohne glaubhaft erzählt bzw. hervorgerufen zu werden. Das liegt zum einen daran, dass ich als Leserin wenig Empathie mit der Hauptfigur und seinen zwei Sidekicks empfinden konnte. Zum anderen daran, dass mir zuviel erklärt wurde statt es zu zeigen. Wie im Film, in dem über alles nur geredet wird, statt es in Bildern zu erzählen. Wie viel man in Worte packt und was man assoziativ vom Leser füllen lässt, ist immer eine Gratwanderung, die auch bei transmedialen Erweiterungen gemeistert werden muss. (Kritiken von Guardian und New York Times, begeisterte Leserstimmen bei goodreads)

Night Film App von Marisha Pessl im Überblick

 

Night Film – App zum Buch

Marisha Pessl dachte ihre Storywelt von Night Film jedenfalls von Anfang an groß. Die kostenlose App, der „Decoder“ zum Buch, funktioniert recht simpel: An jeder Stelle im Buch, an der das Symbol eines Vogels auftaucht, kann man das Bild der Seite mit der App einscannen und erhält in der App zusätzliche Inhalte zur Story. So entdeckt man Dokumente (wie das Uni-Seminar über Cordova), (gefakte) Radiointerviews bis hin zu Kurzfilmen. Im Buch selbst sind bereits Screenshots (nicht existenter) Websites abgebildet, die die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischen – da es die Seiten dann aber leider nicht online gibt (was ich natürlich sofort testen musste), wird man auch schnell wieder zurückgeworfen. Im Prinzip ist das eine teurere und ästhetischere Variante des QR-Codes. Interessanterweise meint Pessl, man solle die App nach dem Lesen des Buchs nutzen, wenn man noch tiefer eintauchen wolle:

„Ideally you will read the book, and if you want to continue the experience, that’s when you find out about the app, and you can get additional content in that way. But it is certainly not something that you need to do while you’re reading, because I love the immersive reading experience, and I did not want to interrupt that in any way with technology.“ (Marisha Pessl auf npr.org)

Das läuft bei diesem Buch entgegen meiner Leseerfahrung: Ich würde die zusätzlichen Inhalte nicht extra hintereinander weg lesen bzw. ansehen, aber das mag Geschmackssache sein. Buch und App sind ein sehr interessantes Experiment und im Zusammenspiel gelungen, wobei ich nicht glaube, dass diese Kombination Schule machen wird: zu kostenintensiv und nicht wirklich wiederholbar. Im Im Endeffekt ist es auch bei Buchapps die Qualität der Geschichte, die überzeugen muss:

„In the end I approach novels as I reader first and foremost. And in the end I just want to get lost in a story, fall in love with the characters, so that for me was the main goal. But then the fact that we are in such an innovative time right now in terms of storytelling and content creation and that boundaries between books, film and the internet are not so rigid any more, that was just another universe that I could play within and being creative. So it was walking the fine line between being traditional and being a bit more innovative.“ (Marisha Pessl im npr.org Gespräch)