Thomas Edison meinte, dass Genie nur zu einem Prozent aus Inspiration bestehe, aber zu neunundneunzig Prozent aus Perspiration („genius is one percent inspiration, ninety-nine percent perspiration“). Nur wer es schaffe, Ideen auch in die Realität umzusetzen sei wahrlich kreativ (oder genial). Um zu diesem Punkt zu kommen, braucht es ein geeignetes Umfeld und die richtigen Gewohnheiten. Scott Belsky, Gründer der Kreativenplattform behance und Autor von „Making Ideas Happen“ meint
„Our individual practices ultimately determine what we do and how well we do it. Specifically, it’s our routine (or lack thereof), our capacity to work proactively rather then reactively, and our ability to systematically optimize our work habits over time that determine our ability to make ideas happen.“
Und Gretchen Rubin führt das weiter:
„Creativity arises from a constant churn of ideas, and one of the easiest ways to encourage that fertile froth is to keep your mind engaged with your project. When you work regularly, inspiration strikes regularly.“
Sie greift dabei auf das Konzept der Bisoziation zurück, das Arthur Koestler als „the crucial ability to link the seemingly unlinkable, which is the defining characteristic of the creative mind“ definierte. Alle Zitate stammen aus dem wunderbaren Artikel „How to Hone Your Creative Routine and Master Your Productivity„, in dem Maria Popova das Buch „Manage Your Day to Day: Build Your Routine, Find Your Focus, and Sharpen Your Creative Mind“, herausgegeben von Jocelyn Glei, bespricht.
Kreative Routinen
Dieser Artikel reflektiert wunderbar den Sinn und Zweck der Schreibklausur, an der ich vorletzte Woche teilnahm. Nach der Buchmesse in Leipzig hätte ich auch einfach in Urlaub fahren können, aber Ingrid Scherübl, eine Freundin und ehemalige Kollegin, hatte eingeladen, an ihrem neuen Projekt teilzunehmen: einem Schreib-Aschram. Die Idee dazu kam ihr, als sie nach einem Aufenthalt in einem indischen Aschram versuchte, eine perfekte Schreibatmosphäre für sich zu schaffen. Sie konnte Professoren der UdK für ihr Projekt gewinnen, der erste Aschram für Schreibende feierte im Herbst 2013 seine Premiere. Die Idee machte mich neugierig und vor allem hatte ich Lust, mal raus zu sein, aus der Stadt und aus dem ständigen Kommunikations- und Nachrichtenstrom.
Ingrid und Katja, die beiden Coaches, schaffen hier einen Rahmen, der von den Routinen eines Aschrams beeinflusst ist. Feste Essens- und Schreibzeiten, mit Morgen- und Nachmittagssport, Schweigezeiten und wenn gewollt Workshops mit Schreibübungen, schaffen einen Rahmen, der es tatsächlich ermöglicht, sehr viel zu erreichen. Wenn es um 13 Uhr Mittagessen gab, hatten wir bereits vier Stunden am Schreibtisch hinter uns – sie waren mal produktiver, mal weniger produktiv, aber selbst in dieser kurzen Zeitspanne zogen die regulierten Abläufe zu einigen, bemerkenswerten Ergebnissen. Nicht nur hatten wir alle bereits am zweiten Tag vergessen, welcher Wochentag es war, die Konzentration auf ein Thema führte dazu, dass der Kopf anfing, plötzlich Lösungen auszuspucken, die einen noch am Tag vorher behindert hatten (die Bisoziation lässt grüßen). Die Grenzen, die uns durch die Regeln auferlegt wurden, führten zu schöpferischer Freiheit. Nicht nur mir ging es so, dass die Reduktion des Inputs zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den Inhalten führte, die man mitgebracht hatte. Die Konzentration und das Aushalten vorm Bildschirm, auch wenn es gerade nicht lief, kombiniert mit „verordneten“ langen Pausen legte irgendwann den Schreibschalter um. Kein Internet, keine Emails, keine Anrufe. Und lauter Menschen um einen, die fleißig sind. Keine Artikel, die ich nochmal schnell lesen muss, kein Gespräch, das ich schnell noch führen muss, kein Lied, das noch schnell geteilt werden muss. Alles konzentrierte sich komplett auf die Themen, die ich mitgebracht hatte und diese schrumpften schnell zu einem großen Thema zusammen, für das ich lange keine Zeit mehr hatte, weil es so groß war, dass ich mich zuhause nicht so recht rantraute – es war ja nie genug Zeit am Stück, um sich überhaupt nur wieder ins Thema einzufinden. Außerdem hatte ich schon so lange keine fiktionalen Texte einfach nur für mich geschrieben, dass das eine ganze Welle losbrach, als ich mich hinsetzte und eine Storyidee nicht nur festhielt, sondern auch anfing, sie umzusetzen.
Widerstände
Natürlich führen Regeln wie 7 Uhr wecken, Morgensport von 7:30 bis 8:00, Frühstück bis 9, schreiben bis 13 Uhr usw. auch zu Widerständen und Versuchen, Schlupflöcher zu finden. Bröckeln die Routinen, bzw. waren nicht alle mit an Bord, wurde es schwieriger, sich an die Abläufe zu halten – und damit auch, zur Ruhe zu kommen. Am Zweifeln war ich vorher aber vor allem wegen der Gruppensituation und natürlich auch der Anleitung: Was, wenn mir die Menschen nicht passten oder die Gruppenatmosphäre unangenehm wäre? Was, wenn der Leitungsstil für mich nicht funktionierte? Zum Glück stimmten diesen beiden Faktoren, sogar so sehr, dass …
Wünsche
… ich gerne noch ein paar Tage mehr dort verbracht hätte. Allerdings hätte ich dann doch noch ein paar Bücher mehr mitbringen müssen, da ich bei der Geschichtenwelt-Entwicklung fürs wilde Dutzend soweit kam, dass ich weiteren, gezielten Input gebraucht hätte.
Was nehme ich nun also mit aus der Woche? Ich habe meinen Tagesablauf an die Rhythmen des Aschrams angepasst (ich bin sowieso ein Morgenmensch), mein Feedreader wurde extrem ausgedünnt bzw. wird eigentlich nur noch einmal pro Woche durchforstet, ich schreibe täglich Morning Pages und meine Social Media- und Emailzeit ist auf bestimmte Zeitfenster begrenzt. Die digitale Disziplin klappt jetzt, eine Woche nach Rückkehr, ziemlich gut. Wem sich also die Chance bietet, mal an einem Schreib-Aschram teilzunehmen, sollte es unbedingt ausprobieren!