Es wird Winter. Das ist seit ein paar Tagen ganz deutlich zu spüren. Als ich heute morgen vom Spaziergang mit dem Hund nach Hause zurückkomme, haben sich Kälte und Gräue (im Lexikon der Eintrag vor „Gräuel“) längst durch meine Schuhe und Jacke gebohrt. Vor ungefähr sieben Jahren wäre ich wahrscheinlich im T-Shirt unterwegs gewesen:
Gestern war der wärmste 15. November seit Beginn der Temperaturaufzeichnung.
So Christoph Peters in Einschreiben Aufzeichnen, gerade bei Matthes&Seitz Berlin erschienen, auf Seite 328. Mit einer assoziativen Kette von Erderwärmung zu Eiszeit, über neuseeländischen Hirschbraten und den dicken Wälzer „Dr. Axelrod’s Atlas Süßwasserfische“, in dem die Tochter Laub presst, endet der Eintrag vom 16. November (vermutlich 2006) und die Bestandsaufnahme dessen, was Herbst (aktuell) ist. Der Schriftsteller Christoph Peters verfolgte damals über ein Jahr das Projekt, an jedem Werktag – also von Montag bis einschließlich Samstag,- vor der Arbeit am aktuellen Roman maximal eine Seite „einfach zu schreiben“. Für die Sonntage steuerte Matthias Beckmann Zeichnungen aus dem Umfeld des Autors bei – vieles erkennt man daher wieder aus den Texten. Ein Projekt, das mit einem Gegenstand begann: wie Christoph Peters bei der Buchvorstellung am Donnerstag bei Matthes&Seitz erzählte, bekam er damals von seiner Frau einen englischen Füller aus Sterlingsilber mit Goldfeder geschenkt. Ein sehr edles Schreibgerät, das eingeschrieben werden musste, damit sich die Feder an die Handhaltung anpasst (daher verleiht man einen Füller übrigens auch niemals!).
Mit dem Arbeitsethos des Schriftstellers wurde aus dem „Einschreiben der Feder“ sofort ein Projekt mit bestimmten Regeln und festgelegtem Ziel. Und nun ist das Buch da. Einige Themen und Motive ziehen sich über die knapp 430 Seiten, teils hängen sie mit dem aktuellen Zeitgeschehen zusammen (Vogelgrippe, Fußball-WM), teils haben sie ganz persönliche Hintergründe (wie Adolph Menzel, der Blick aus dem Fenster) oder sie spiegeln den Arbeitsprozess am Roman wider; so schrieb Christoph Peters 2006 an „Das Zimmer im Hause des Krieges„, weshalb Asiatika sowohl in den Bildern als auch in den Texten immer wieder auftauchen. Die Freiheit parallel zum großen Werk täglich kleine Skizzen zu verfassen, wird nicht nur von Kreativitätslehrern als „Morning Pages“-Methode gepriesen, beim Schriftsteller führt sie zu ganz unterschiedlichen Textminiaturen. Nur soviel: bei der Lesung wurde auch viel gelacht.
„Einschreiben Aufzeichnen“ ist ein sehr schönes Buch geworden. Es wird mich das nächste Jahr über begleiten, denn ich werde jeden Tag die Miniatur des Tages lesen – und parallel dazu auf Facebook die Weiterführung des Experiments von Christoph Peters verfolgen. Mal sehen, wie sich das auf meine Arbeits- und Blogdisziplin auswirkt…